Kleine Kirchweyher Eisenbahngeschichte
Am 15. Mai 1873 hielt der erste
planmäßige Personenzug in Kirchweyhe. Die Strecke Hamburg - Köln wurde
feierlich eröffnet.
Damit erhielt unsere Region südlich von
Bremen ihren Anschluss an die "große weite Welt", per Schiene.
Zur
Vorgeschichte:
Das Pferd
war auch bei uns lange Zeit der Maßstab der Geschwindigkeit. Kein anderes
Lebewesen konnte sich schneller fortbewegen und dazu auch noch größere Lasten
ziehen oder transportieren, bis dann
1825 in England, 1828 in Frankreich, 1835 in Belgien und Deutschland,
ein neues Zeitalter begann.
Die
Region um Bremen erhielt 1847 die Staatsbahnstrecke nach Hannover und
Oldenburg. Viele Menschen aus dem südlichen Umland der Hansestadt, dem heutigen
Landkreis Diepholz, hatten die neue technische Errungenschaft noch nie gesehen,
kannten sie nur vom Hörensagen her.
Darum
fuhren Neugierige oft per Pferdekutsche nach Eystrup, um dort endlich einen Zug
bestaunen zu können. Häufig scheuten die Pferde beim Anblick der schwarzen
fauchenden "Ungeheuer". Die Lokführer als Herrscher über diese Technik wurden
bewundert.
Mit den
Vorbereitungen zum Bau der Strecke Hamburg-Köln-Paris begannen Ingenieure und
Landvermesser ab 1866. Sie sollte über Bremen, Osnabrück, Münster ins
Ruhrgebiet führen, bei Dreye die Weser überqueren und die kleinen Bauerndörfer
Kirchweyhe, Barrien, Syke, Bramstedt, Bassum und Twistringen passieren.
Hier und
da widersetzten sich Bauern dem Bahnbau. Die Gleise durchschnitten natürlich
die Ackerflächen und Wiesen; deren Bewirtschaftung wurde schwieriger und
Zufahrten länger.
Der
Transport des Schlachtviehs dagegen kürzer; Dünger, Futtermehl oder
Baumaterialien konnten besser herangeschafft werden.
Ein
Bahnanschluss bedeutete zudem für alle Menschen Fortschritt und Beweglichkeit.
Im Mai
1873 erfolgte die Streckeneinweihung.
Kirchweyhe
(1871 nur 1771 Einwohner; einschließlich Dreye und Lahausen) entwickelte sich
aufgrund der geografischen Lage zu einem Eisenbahnknotenpunkt. Die
Gütertransporte aus dem Ruhrgebiet mussten hier neu zusammengestellt werden,
bevor sie nach Hamburg, Bremen oder Bremerhaven weiterliefen. Umgekehrt ebenso:
Die Rangierkollonnen in Kirchweyhe stellten Schiffsladungen aus den
Hafenstädten zu neuen Zügen zusammen, bevor sie in Richtung Ruhrgebiet weiterfuhren.
Zwei Ablaufberge entstanden für diese Aufgabe und 12 Stellwerke sorgten für die
Zugsteuerung.
Lokomotiv-
und Personalwechsel gehörten außerdem zum Schwerpunkt des örtlichen
Bahnbetriebswerkes. Ab 1910 waren zwei Lokschuppen mit je 24 Stellplätzen
( siehe Galerie)
entstanden. 1919 hatten 88 schwere Güterzugloks hier ihr Heimat-Bw.
Umfangreiche technische Anlagen rundeten die Lokversorgung ab: Bekohlungskran,
Entschlackungsgräben, Wassertürme, Besandungsanlage, später Diesel- und
Öltanks.
Heute
kaum vorstellbar: Um 1920 bot die Eisenbahn in Kirchweyhe über 1450 Menschen
Arbeit und Brot. Später hatten rund 70 % aller Kirchweyher, Lahauser und Dreyer
Einwohner direkt oder indirekt mit der Bahn zu tun.
Ganze
Wohnsiedlungen nur für Eisenbahnfamilien schossen wie Pilze aus dem Boden:
Moordammsiedlung, Richtweg, Papenkamp, Goldener Winkel, Park-, Tulpen und
Nelkenstraße. Große Übernachtungsgebäude in der Bahnhofstraße, Am Bahndamm und
unmittelbar an der Bahnstrecke standen für die Unterbringung des auswärtigen
Personals zur Verfügung. Gleichzeitig sorgten zahlreiche neue Gasthäuser,
Geschäfte und öffentliche Unternehmen für die Grundversorgung der zunehmenden
Einwohnerschaft.
Nicht zu
vergessen ist auch der Einfluss der Eisenbahner auf das kulturelle, soziale und
sportliche Leben im Ort. Vereinsgründungen und neue Impulse haben die Neubürger
beeinflusst.
Nach
Entwicklung und Höhepunkt der Eisenbahnepoche in Kirchweyhe erfolgte in den
letzten Jahrzehnten der fast totale Abbau.
Quelle: Wilfried Meyer